Wo drückt der Schuh?
Insbesondere bedingt durch die Corona-Pandemie brachen die Fahrgastzahlen im Jahr 2020 dramatisch ein. Ein wichtiges Ziel muss es deshalb sein, in einem ersten Schritt zumindest wieder das „Vor-Corona-Niveau“ von rund 60 Millionen Fahrgästen pro Jahr zu erreichen. Dieses erfordert deutlich mehr Anstrengungen als derzeit erkennbar. Kurzfristig muss durch eine betriebliche Stabilisierung des aktuellen Verkehrsangebots, durch das Schließen von Angebotslücken, wie im aktuellen Nahverkehrsplan festgelegt, und durch konsequentes und aufwändiges Marketing die Nachfrage wieder deutlich auf mindestens das alte Niveau gesteigert werden.
Damit ist jedoch mit Blick auf die anstehende Verkehrswende noch nichts erreicht worden. Hierfür ist ein weiterer massiver Ausbau insbesondere des Stadtbahnnetzes, aber auch eine Angebotsverdichtung im Busbereich, der auch zukünftig bei den Strukturen in Bielefeld eine wichtige Rolle spielen wird, unerlässlich. Über den aktuellen Nahverkehrsplan hinaus muss zügig ein verbindlicher ÖPNV-Ausbauplan für Bielefeld aufgestellt und politisch beschlossen werden.
Trotz angespannter Haushaltslage im öffentlichen Bereich müssen bezüglich der Finanzierung ganz klare Prioritäten gesetzt werden zu Gunsten des öffentlichen Verkehrs. Dieses ist die Grundvoraussetzung, wenn wir es mit der Verkehrswende wirklich ernst meinen.
Was die Versorgung der Stadt Bielefeld nicht ganz einfach macht, ist die seit Jahrzehnten betriebene Flächenzersiedlung. Hier drückt der Schuh besonders, denn die vorhandenen Siedlungsstrukturen lassen sich nicht einfach zurückdrehen. Zumindest zukünftig muss aber mehr Wert auf eine integrierte Stadtentwicklungs-/Verkehrsplanung gelegt werden. Leider werden noch immer an verschiedenen Stellen die Fehler der Vergangenheit wiederholt mit entsprechend negativen Auswirkungen auf Ökologie und Ökonomie.
Das Rückgrad des Bielefelder Nahverkehrs ist die StadtBahn. Die Entwicklung der Fahrgastzahlen auf den einzelnen Linien belegen: Die StadtBahn ist ein Erfolgsmodell.
Eine der Hauptschwächen des StadtBahn-Systems ist, dass die StadtBahnen nicht weit genug hinausfahren. Das hat vor allem damit zu tun, dass das Linienkonzept im Wesentlichen aus der Zeit vor der Gebietsreform im Jahre 1973 stammt. Für viele Fahrgäste ist das von Nachteil, weil sie umsteigen müssen. Das ist für viele Menschen eine ernste Barriere für die Nutzung des ÖPNV. Die relativ kurzen Linien haben für moBiel den Nachteil, dass der Betrieb auf den Strecken nicht effizient organisiert werden kann: je länger die Strecken, desto günstiger ist es für die Betriebsabläufe.
In den letzten Jahren konnten durch Ausweitungen des Liniennetzes und des Fahrtenangebots bereits deutliche Fortschritte erreicht werden. Nach dem derzeitigen Nahverkehrsplan ist vorgesehen, bestimmte Angebotslücken insbesondere am Abend und am Sonntagvormittag zu füllen. Das wäre ein wichtiger Schritt zur Abrundung des Bestandsangebots. Der Schuh drückt derzeit viel mehr in Bezug auf die Zuverlässigkeit des Verkehrsangebots. Fahrtausfälle und Verspätungen sind leider keine Seltenheit und führen zu Verstimmungen bei den Fahrgästen. Hier muss dringend gegengesteuert werden, um nicht zu riskieren, dass ein eigentlich gutes Angebot nicht mehr als solches wahrgenommen wird.
Heute wird erwartet, dass alle Menschen schnell und ohne fremde Hilfe die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können, auch mobilitätseingeschränkte Menschen mit Kinderwagen, Rollatoren und Rollstühlen. Inzwischen sind sämtliche Haltestellen der Stadtbahnlinie 4 zwischen Lohmannshof und Stieghorst barrierefrei. Im Verlauf der Linie 2 fehlen lediglich noch an den Haltestellen Teutoburger Straße und August-Bebel-Straße Hochbahnsteige und auf den Linien 1 und 3 ist der barrierefreie Haltestellenumbau bereits in Realisierung bzw. in konkreter Planung. Bielefeld ist bei der Stadtbahn auf einem wirklich guten Weg in Bezug auf die bauliche Umsetzung. Großen Nachholbedarf gibt es dagegen noch innerhalb des Busliniennetzes. Hierauf muss in den nächsten Jahren ein besonderer Fokus gelegt werden.
Neben der rein physischen Erreichbarkeit gibt es aber häufig noch ganz andere Formen von Barrieren, die den Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln erschweren. Das gilt insbesondere für die Übersichtlichkeit und Höhe der Tarife sowie für die Fahrgastinformation und zwar analog und digital. Durch die Einführung des Deutschlandtickets ist aus Kundensicht in jeder Beziehung ein großer Durchbruch gelungen, da praktisch der gesamte öffentliche Personennahverkehr in ganz Deutschland zu einem relativ günstigen Preis rund um die Uhr und ohne irgendwelche Gedanken über Tarifzonen und Fahrpreisen nutzbar wird. Mit diesem Ticket ist wirklich ein Traum in Erfüllung gegangen. Von immanenter Wichtigkeit ist daneben aber auch die bisherige Tarifstruktur insbesondere für Menschen, die nur gelegentlich den Nahverkehr benötigen. Trotz vieler guter Angebote besteht bei diversen Details noch Nachholbedarf. Ein Ticket von Werther in die Bielefelder Innenstadt ist fast doppelt so teuer wie ein Ticket für dieselbe Entfernung von Jöllenbeck zum Jahnplatz und das letztlich aus rein formalen Gründen – eine Gemeinde, ein Tarif. Aus Sicht der Fahrgäste ist es beispielsweise auch völlig unverständlich, weshalb der Niedersachsentarif bis Bielefeld gilt, das Niedersachsenticket als Tagesticket aber lediglich bis Herford. Das ist für Tarifexperten vielleicht nachvollziehbar, nicht aber für Kundinnen und Kunden.
Ein wichtiges Kriterium hinsichtlich der Zugänglichkeit zum öffentlichen Nahverkehr ist die Fahrgastinformation und zwar sowohl für das Verkehrsangebot im normalen Betrieb als auch in besonderem Maße im Störungsfall. Seit Eröffnung der Stadtbahn im Jahr 1991 hat sich in Bielefeld diesbezüglich bereits sehr viel getan. Trotz zum Teil ungünstiger baulicher Verhältnisse wie beispielsweise an der Stadtbahnhaltestelle Hauptbahnhof wurde die Beschilderung verbessert und die Funktion der Haltestelle als Aushängeschild für den ÖPNV wird durchaus ernster genommen. Verbesserungen konnten auch durch die Digitalisierung wie elektronische Fahrgastinformation über dynamische Anzeiger an Haltestellen, Internet und App erzielt werden. Trotzdem drückt in vielen wichtigen Punkten nach wie vor der Schuh gewaltig. Letztes großes Beispiel ist die Umgestaltung des Jahnplatzes als wichtigste Haltestelle in ganz Bielefeld. In Bezug auf die Wegeführung zu den weit auseinanderliegenden Haltestellen, die Platzierung der Informationsvitrinen und der dynamischen Fahrgastinformation besteht dringender Nachbesserungsbedarf. Ebenso wichtig ist die Information bei Störungen und Umleitungen. Die Digitalisierung sollte eigentlich ein Lösungsbringer sein, führt aber teilweise sogar ins Gegenteil, da die Daten selbst bei länger dauernden Umleitungen nicht nachgehalten werden. Digitalisierung ist kein Selbstläufer, sondern erfordert eine intensive und kurzfristige Datenpflege.
Der Vorrang öffentlicher Verkehrsmittel an Lichtsignalanlagen gepaart mit eigenen Fahrwegen zumindest an neuralgischen Punkten ist schon seit Jahrzehnten auch in Bielefeld ein Thema. Sehr viel erreicht wurde in dieser Hinsicht bei der Stadtbahn. Ein hoher Anteil besonderer Bahnkörper und eine konsequente Bevorrechtigung der Stadtbahn an Lichtsignalanlagen hat Bielefeld zum Vorzeigebeispiel gemacht. Wichtig ist aber auch hier die ständige Qualitätskontrolle und Systempflege, um das Erreichte auch nachhaltig auf einem hohen Niveau zu halten. Anders sieht es beim Busverkehr aus. Auch wenn sich in den letzten Jahren durchaus Verbesserungen ergeben haben, wäre eine konsequentere und gezieltere Vorgehensweise absolut wünschenswert. Besonders deutlich wird dieses im Bereich des Jahnplatzes. Seit dem Umbau verbringen die Busse viele wertvolle Minuten vor roten Ampeln.