2.7.2024

Mobilität neu denken

Im kleinen Gässchen des historischen Museums feierte Bielefeld pro Nahverkehr am letzten Freitag sein 20-jähriges Bestehen.

Panel der Talkrunde (v.l.): Andreas Liebold, Thomas Naumann, Dr. Godehard Franzen, Christoph Birnstein, Ester Rüßler, Paulina Rubio Gleich
Panel der Talkrunde (v.l.): Andreas Liebold, Thomas Naumann, Dr. Godehard Franzen, Christoph Birnstein, Ester Rüßler, Paulina Rubio Gleich · Foto: Rolf Potschies

Der Vorsitzende Christoph Birnstein erläuterte in seinen einführenden Worten, dass der Verein seinerzeit gegründet worden sei, um sich für den Verbleib von MoBiel in der alleinigen Verantwortung der Stadt Bielefeld einzusetzen. Dem langjährigen Vorsitzenden Dr. Godehard Franzen sei es zu verdanken, dass sich der Verein nach dieser Aufgabe neu ausgerichtet habe: „Heute setzt sich der Verein für die Förderung einer effizienten, nachhaltigen Verkehrsentwicklung im Raum Bielefeld ein. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem ÖPNV.“

Bürgermeisterin Karin Schrader betonte in ihrem Grußwort die Bedeutung solcher aktiver Vereine und bedankte sich ausdrücklich für die konstruktive Unterstützung in Form von Gesprächen, Anregungen, Kritik und Öffentlichkeitsarbeit: „Sie sind hartnäckig, manchmal auch unbequem. Aber das ist gut so.“

Festredner Thomas Nauheim, renommierter Verkehrsplaner aus Würzburg, stellte seinen Vortrag unter das Motto: „Mobilität neu denken“.
Zu Beginn machte er deutlich, dass der Wechsel zum Elektroantrieb keine Verkehrswende sei. Auch eine exklusive Förderung des Radverkehrs allein sei noch keine Verkehrswende, besonders dann nicht, wenn sie zu Lasten von Fußverkehr und ÖPNV gehe.

Eine hilfreiche Messgröße, mit der man Veränderungen erfassen könne, sei der „modal Split“. Dieser gebe den Anteil der einzelnen Verkehrsträger am Gesamtverkehr an. Bielefeld strebe einen Anteil von jeweils 25 % des Auto-, Rad-, Fußverkehrs und des ÖPNV an den täglichen Wegen an. „Das ist ein gutes Ziel, aber bis dahin gibt es noch viel zu tun, weil der Autoverkehr aktuell bei 49% liegt, während der Radverkehr mit 21% und ÖPNV und Fußverkehr mit jeweils 15% noch großen Nachholbedarf haben.“

Naumann nannte als ein entscheidendes Hemmnis für die Verkehrswende die Straßenverkehrsordnung: „Sie geht auf die Reichs-Straßenverkehrs-Ordnung von 1934 zurück, in deren Vorwort unter Bezug auf den „Führer und Reichskanzler“ als Ziel „die Förderung des Kraftfahrzeugs“ ausdrücklich genannt wird. Nirgends sonst in Europa gibt es ein Verkehrsrecht, das den Vorrang des Autos so ausdrücklich festschreibt.“ Die Änderungen der letzten Zeit, auch die aktuelle, seien leider nur homöopathische Korrekturen. „Von den Möglichkeiten, die in Frankreich, in der Schweiz und in Österreich bestehen, können wir nur träumen,“, erläuterte Naumann.

Er betonte, dass trotz diverser neuer Entwicklungen die Straßenbahn nach wie vor das Zugpferd sei, um Menschen zum Verzicht aufs Auto zu bewegen: „Überall da, wo Straßenbahnen angeboten werden, erreicht der ÖPNV beim Modal-Split einen Anteil von 40 bis 50 %. Mit Bussen kann man das nie erreichen.“ Naumann zeigte dann an vielen Beispielen auf, wie Projekte der Verkehrswende gelingen können, insbesondere im europäischen Ausland, z. B. in Bratislava oder Paris, aber auch bei neuen Straßenbahnprojekten wie in Würzburg, Ulm, München, Stuttgart oder Erlangen.

In der anschließenden Gesprächsrunde stellten sich die Teilnehmer Christoph Birnstein (Vorsitzender), Dr. Godehard Franzen (Gründungsmitglied, Ehrenvorsitzender), Paulina Rubio Gleich (Schülerin), Thomas Naumann sowie Ester Rüßler (Kidical Mass Bielefeld) den Fragen von Moderator Andreas Liebold rund um die Themen Verkehrswende und Mobilität.

Die Talkrunde war sich in zwei Punkten schnell einig. Zum ersten: Der Ausbau der Stadtbahn müsse mit Priorität vorangetrieben werden. Zum zweiten: Die verhärtete, von Lagerdenken und Parteiprofilierung geprägte Diskussionskultur müsse überwunden werden.

Franzen betonte: „Wir brauchen in einem entscheidenden Punkt Einigkeit, nämlich dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens auch im Verkehrsbereich umgesetzt werden müssen. Darauf aufbauend brauchen wir einen konstruktiven Dialog über den besten Weg, diese Ziele zu erreichen.“

Esther Rüßler wünschte sich mehr Angebote, um auszuprobieren, wie man den Alltag ohne Auto organisieren kann: „Meine Familie hat an dem Projekt ‚Drei Monate ohne Auto‘ teilnehmen. Das war super. Wir kommen seitdem ohne Auto klar.“

Paulina Rubio Gleich, mit 13 Jahren die mit Abstand Jüngste in der Runde, wartete auf die Frage nach ihren Erfahrungen mit dem ersten „Altstadtraum“ mit einer überraschenden Antwort auf: „Für uns Schüler*innen vom Gymnasium am Waldhof war die Sperrung des Waldhofs sehr gut. Wir mussten morgens mit dem Fahrrad keinen Slalom mehr um die wild haltenden Elterntaxis fahren.“ Sie benannte auch eine klare Zukunftsvision: eine autofreie Innenstadt.

Zum Abschluss der Veranstaltung entwickelten sich lebhafte Gespräche bei einem Imbiss und Getränken.

zurück zur Übersicht