3.5.2019
Flächenfraß durch ruhenden Verkehr
Flächenfraß durch ruhenden Autoverkehr
Ein durchschnittlicher PKW ist ca. 1 Stunde pro Tag in Betrieb, 23 Stunden pro Tag steht bzw. ruht er. Für diese Standzeit benötigt er einen Stellplatz, in der heimischen Garage, unter der Laterne im öffentlichen Straßenraum, am Supermarkt, am Arbeitsplatz usw. Der Flächenverbrauch dafür ist gewaltig.
Der Bruttoflächenbedarf für einen Stellplatz in einem Parkhaus oder einer Tiefgarage wird in der Fachliteratur mit 19 bis 25 m² angegeben, Tendenz steigend wegen der immer größer werdenden Autos. Große ebenerdige Stellplatzanlagen haben meist einen deutlich größeren Bruttoflächenbedarf. Eine Standardgarage (oder Caport) ist 3,00 x 5,50 = 16,50 m². Hinzu kommt die Garagenzufahrt, die in der Regel wegen der baurechtlich vorgeschriebenen Abstände ebenso groß ist. Straßenbegleitende Stellplätze haben einen geringeren Flächenbedarf, ein Durchschnittswert dürfte bei 2,40 x 6,00 = 14,40 m². Ob hier noch Rangier- bzw. Anfahrfläche zuzurechnen ist, hängt von der jeweiligen Situation ab. „Straßenlaternen-Stellplätze“ im öffentlichen Straßenraum haben einen ähnlichen Flächenbedarf wie Straßenbegleitende Stellplätze. Ich lege im Folgenden einen Durchschnittswert
von 22 m² zugrunde.
1. Private Stellplätze für die „Übernachtung“ der PKWs
In Bielefeld gibt es ca. 170.000 PKW, die täglich wohnungsnah abgestellt werden wollen. Flächenbedarf:
170 Tsd x 22 = 3,740 Mio m² = 374 ha = 3,74 km²
2. Stellplätze für Berufseinpendler
Über die Berufsein- und –auspendler sind unterschiedliche Zahlen im Umlauf.
Ich verwende die Zahlen der Agentur für Arbeit. Danach gibt es ca. 69.000 Berufseinpendler (Stand Juni 2018). Von der Statistik werden alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erfasst, die ihren Arbeitsplatz in Bielefeld haben, aber außerhalb Bielefelds wohnen. Geringfügig Beschäftigte, nicht sozialversicherungspflichtige Auszubildende und Selbständige sind dabei nicht erfasst.
Der Modal-Split für die Berufseinpendler ist nicht bekannt. Es ist aber davon auszugehen, dass der MIV-Anteil bei 90% oder sogar darüber liegt. Rechnet man pro Auto 1,3 Insassen (eher hoch angesetzt), so kommt man auf folgende Zahl von berufsbedingt einpendelnden Autos:
(69 Tsd x 0,9) : 1,3 = 47,8 Tsd Autos.
Diese Autos müssen am Arbeitsplatz abgestellt werden. Wegen Schichtbetrieb werden Firmenparkplätze mehrfach genutzt. Der Anteil Schichtbetrieb ist nicht bekannt. Angenommen, der Schichtbetrieb-Anteil betrage 1/3 (nach meiner Einschätzung eher zu hoch angesetzt). Dann ergibt sich folgender Flächenbedarf:
47,8 Tsd x 2/3 x 22 = 701 Tsd m² = 70,1 ha = 0,701 km²
Die allermeisten Firmenparkplätze sind ebenerdig angeordnet. Nur bei ganz wenigen Firmen gibt es Parkdecks, z. B. bei Oetker.
3. Stellplätze für sonstige Einpendler
Es gibt eine Vielzahl von Personen, die aus unterschiedlichen Gründen einpendeln: Freizeit, Bildung/Ausbildung, Versorgung, Einkaufen. Über die Zahl dieser Einpendler und deren Verkehrsmittelwahl gibt es keine gesicherten Daten.
Bei den Einpendlern, die den ÖPNV nutzen, sind nach Fahrgastbefragungen die Anteile der Berufseinpendler und der sonstigen Einpendler ungefähr gleich groß. Unterstellt man, dass das bei den Auto-Nutzern ebenso ist, hätte man mit ca. 69 Tsd sonstigen Einpendlern pro Tag zu rechnen.
Der Modal-Split für diese Personengruppe ist nicht bekannt. Der ÖPNV-Anteil dürfte höher sein als bei den Berufseinpendlern, weil z. B. bei den einpendelnden Studenten/innen auf Grund des Semestertickets mit einer hohen ÖPNV-Nutzung zu rechnen ist.
Rechnet man mit einem MIV-Anteil von 70% (eher niedrig angesetzt) und berücksichtigt die übliche Fahrzeugbesetzung mit 1,3 Personen, kommt man auf
(69 Tsd x 0,7) : 1,3 = 37,2 Tsd
Autos, die von sonstigen Einpendlern genutzt werden und abgestellt werden müssen. Das ergibt einen rechnerischen Flächenbedarf von
37,2 Tsd x 22 = 818 Tsd m² = 81,8 ha = 0,818 km²
Dieser Betrag wird sich aber durch Mehrfachnutzung von Stellplätzen deutlich reduzieren.
4. Stellplätze für innerstädtische Berufspendler
Von der Wohnbevölkerung sind knapp 170 Tsd berufstätig (sozialversicherungspflichtig und/oder geringfügig beschäftigt). Ca. 39 Tsd. haben ihren Arbeitsplatz außerhalb der Stadt (Auspendler). Es verbleiben also ca. 130 Tsd, die ihren Arbeitsplatz in Bielefeld haben. Unterstellt man, dass für die Wege zum Arbeitsplatz derselbe Modal-Split gilt wie für die Wege der gesamten Wohnbevölkerung, ergeben sich
130 Tsd x 0,51 = 66.300
Berufstätige, die mit dem Auto zum Arbeitsplatz fahren. Unterstellt man wiederum, dass ein Auto – wie im statischen Durchschnitt – mit 1,3 Personen besetzt ist, ergeben sich
66.300 : 1,3 = 51.000
Autos, die für die Wege zum Arbeitsplatz innerhalb Bielefeld genutzt werden und die in der Nähe des Arbeitsplatzes abgestellt werden müssen. Das ergibt einen rechnerischen Flächenbedarf von
51.000 x 22 = 1,122 Mio m² = 112,2 ha = 1,122 km²
Der Betrag kann sich durch Mehrfachnutzung von Stellplätzen (z. B. bei Schichtbetrieb) verringern.
5. Stellplätze für sonstige Wegezwecke der Bielefelder Bevölkerung wie Einkaufen, Ausbildung, Dienstleistung, Freizeit usw.
Eine differenzierte Datenbasis, um hier den Flächenverbrauch abzuschätzen, gibt es nicht. Um die Größenordnung zu erahnen, hilft folgende Modellüberlegung.
Angenommen,
- dass von den täglichen ca. 4 Wegen statistisch 2 auf die oben genannten Zwecke entfallen,
- dass auch für diese Wege der Modal-Split von 51 % MIV zutrifft,
- dass ein Auto durchschnittlich mit 1,3 Personen besetzt ist,
ergeben sich
(340.000 x 2 x 0,51) : 1,3 = 267 Tsd
Autofahrten für die o.g. Zwecke. In der Regel wird für 2 Fahrten ein Stellplatz benötigt (Hin- und Rückfahrt zu einem Ziel). Damit ergibt sich ein rechnerischer Flächenbedarf von
(267 Tsd : 2) x 22 = 2,937 Mio m² = 294 ha = 2,94 km²
Dieser Betrag wird sich erheblich durch Mehrfachnutzung von Stellplätzen reduzieren.
6. Bruttogeschossfläche der Innenstadt-Stellplätze
Auf der Homepage der Stadt sind die öffentlich zugänglichen Stellplätze in Parkhäusern/Tiefgaragen und auf Parkplätzen im engeren Innenstadtbereich aufgeführt (https://www.bielefeld.de/de/ti/an_und_abreise/parken/). In der Summe sind das ca. 9.000 Stellplätze. Straßenbegleitende Stellplätze sind dabei naturgemäß nicht berücksichtigt. Insgesamt dürften sich im Innenstadtbereich über 10.000 öffentlich zugängliche Stellplätze befinden. Dies ergibt eine Bruttogeschossfläche von:
10.000 x 22 = 220.000 m² = 22 ha
Zum Vergleich: Die Größe des Hufeisens beträgt 40 ha.
Zusammenfassung/Fazit:
Konservativ abgeschätzt wird der tatsächliche Flächenverbrauch für das Abstellen von PKW zwischen 600 und 800 Hektar (6 bis 8 km²) liegen. Wir gehen extrem verschwenderisch mit der Fläche für das Abstellen von PKWs um.
Zum Vergleich:
Die Gewerbeflächenbedarfsprognose weist einen Bedarf von 60 bis 80 h bis 2035 aus.
Anmerkungen:
- Mir ist bewusst, dass es sich bei den angesprochenen Flächen z. T. um sehr kleinteilig zusammengesetzte Flächen handelt. Bei Einsparungen entstehen also nicht automatisch größere zusammenhängende Flächen, die für andere Zwecke (z. B. Wohnen oder Gewerbe) genutzt werden könnten.
- Große zusammenhängende, ebene Stellplatzflächen finden wir vor allem in Gewerbegebieten und bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben. Hier gibt es ein besonders großes Flächeneinsparpotenzial.
- Auch wenn sich die Flächen kleinteilig zusammensetzen, lohnt sich eine Politik, die Autoverkehr reduziert und Stellplätze einspart, weil sie Druck vom Flächenmarkt nimmt. Das eröffnet Spielräume für den Radverkehr und nimmt auch aus vielen Wohngebieten den Parkraumdruck weg.
- Die wichtigste Determinante für den Stellplatzflächenverbrauch ist nach meiner Sicht die Anzahl der in Bielefeld gemeldeten PKWs. In Bielefeld verfügen 82 % der Haushalte über mindestens einen eigenen PKW. Das ist im Städtevergleich eine hohe Zahl. Nur 18 % der Haushalte verfügt also über keinen PKW. Das dürften im Wesentlichen diejenigen Haushalte sein, die sich wegen eines niedrigen Haushalteinkommens keinen PKW leisten können. Zum Vergleich: In Zürich verfügen 42% der Haushalte über keinen PKW.
- Ziel einer Verkehrswende muss es sein, den Bürgerinnen und Bürgern für die Verkehrsmittel des Umweltverbundes ein Angebot bereit zu stellen, mit dem man auch ohne Auto gut klar kommen kann. Was für den ÖPNV „gut klar kommen“ heißt, muss gesellschaftlich und politisch ausgehandelt werden. Das ist nicht einfach, weil das kein schlichtes objektivierbares Kriterium ist. Wenn man das aber schafft, werden auch Menschen mit durchschnittlichem oder gutem Einkommen bereit sein, auf ein eigenes Auto zu verzichten.
- Ein sehr gutes Beispiel für die Reduktion des Stellplatzbedarfs ist in Bielefeld die Uni. Die Anzahl der Stellplätze im Bereich der Uni ist heute gegenüber den 80er und 90er Jahren deutlich reduziert, obwohl sich die Zahl der Studierenden und der Beschäftigten deutlich erhöht hat (genaue Zahlen liegen mir aktuell nicht vor). Wo jetzt der Gebäudekomplex X steht, waren früher ebenerdige Stellplätze. Die vielen Stellplätze an der vorderen Morgenbreede sind inzwischen fast komplett überbaut. Es sind v. a. zwei Maßnahmen, die das bewirkt haben: Der Bau der Uni-Linie und die Einführung des Semestertickets.
Dr. Godehard Franzen
Vorsitzender
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- Neue Westfälische, 04.04.2018. Texte und Fotos aus der Neuen Westfälischen sind urheberrechtlich geschützt. Weiterverwendung nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. https://www.nw.de