27.02.2018 | allgemeines

Barrierefreiheit bei Bus und Bahn – es tut sich einiges, aber noch nicht genug!

Bis zum 1.1.2022 muss vollständige Barrierefreiheit für die Nutzung von Bus und Bahn hergestellt sein. Das schreibt das Personenbeförderungsgesetz vom 1.1.2013 vor. „Davon sind wir noch weit entfernt!“, stellen die Vorsitzenden des Beirats für Behindertenfragen, des Seniorenrates und von „Bielefeld pro Nahverkehr“ auf einer Pressekonferenz fest. Sie fordern mehr Anstrengungen von Politik, Verwaltung und moBiel.

Presseinformation zur Barrierefreiheit, 22. Februar 2018

Barrierefreiheit im ÖPNV: Gemischte Halbzeitbilanz

Am 1. Januar 2013 trat eine Novelle des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) in Kraft. In § 8 Abs. (3) wird das Ziel formuliert, „für die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen." Als Instrument zur Umsetzung dieses Ziels wird der Nahverkehrsplan genannt, für den die Gebietskörperschaften (kreisfreie Städte und Landkreise) zuständig sind. Der Gesetzgeber räumt den Gebietskörperschaften also eine Frist von 9 Jahren zur Umsetzung ein. Gut die Hälfte, nämlich 5 Jahre, sind verstrichen. Was ist in dieser Zeit in Bielefeld erreicht worden? Wie sieht die Halbzeitbilanz aus?

  • Es liegt inzwischen eine Bestandsaufnahme für alle Bushaltestellen vor. Sie wurde im Nov. 2016 dem Seniorenrat und dem Beirat für Behindertenfragen vorgestellt. Eine Vorstellung im Stadtentwicklungsausschuss erfolgte nach unserer Kenntnis bisher nicht. Von den ca. 1.300 Haltestellen sind aktuell ca. 42% als Buskaps ausgebildet und mit einem Leitsystem für Blinde und sehbehinderte Personen ausgestattet. Für 86 weitere Haltestellen soll ein entsprechender Umbau bis Ende 2019 erfolgen, so dass dann ca. 50 % der Haltestellen als Kaps und mit Leitsystemen ausgebildet sind. Was dann in den beiden verbleibenden Jahren bis zum 01.01.2022 geschehen soll, dazu gibt es bisher keinerlei Aussagen oder Beschlüsse. Es gibt weder ein Handlungsprogramm noch eine Prioritätenliste. Es gibt zwar eine Praxis für den Umbau von Bushaltestellen, aber bisher keine verbindlichen Beschlüsse über die Standards. Unter den noch nicht umgebauten Bushaltestellen befinden sich auch etliche mit hoher Fahrgastfrequenz.
  • Für 5 Stadtbahnhaltestellen sind inzwischen Planfeststellungsverfahren für die Nachrüstung mit Hochbahnsteigen eingeleitet worden: Marktstraße, Krankenhaus Mitte, Gaswerkstraße, Normannenstraße und Brackwede Kirche. Da die neue Haltestelle „Marktstraße" die beiden Haltestellen „Ravensberger Str" und „August-Schröder-Straße" ersetzen soll, verbleiben weitere 8 Haltestellen ohne Hochbahnsteig: Linie 1 – „Windelsbleicher Str." und „Heidegärten", Linie 2 – August-Bebel-Straße und Teutoburger Str., Linie 3 – Voltmannstraße, Lange Straße, Hartlager Weg und Sieker Mitte. Uns ist bekannt, dass es für den Umbau der Haltestellen an der Linie 3 Vorüberlegungen gibt. Diese sind bisher den politischen Gremien noch nicht vorgestellt worden. Eine Bestandsaufnahme für die vorhandenen Hochbahnsteige liegt noch nicht vor. Es fehlt bisher eine Festlegung der Standards für die Hochbahnsteige. Es fehlen weiterhin eine Priorisierung und ein Handlungsprogramm mit einem Zeitplan und einer Kostenschätzung.
  • Eine Fortschreibung des Nahverkehrsplans, die seitens der Verwaltung schon einmal für 2014 in Aussicht gestellt worden war, wird derzeit eingeleitet. Im Rahmen des Nahverkehrsplans soll auch die Festlegung von Standards für die Barrierefreiheit erfolgen. Nach aller Erfahrung ist mit einer Verabschiedung des Nahverkehrsplans vor Mitte 2019 nicht zu rechnen. Dann bleiben allenfalls noch zweieinhalb Jahre für die Umsetzung von Maßnahmen.


Wir begrüßen es, dass eine Bestandsaufnahme für die Bushaltestellen vorliegt, dass für 5 Stadtbahnhaltestellen Planfeststellungsverfahren eingeleitet sind und dass die Fortschreibung bzw. Neuaufstellung des Nahverkehrsplans angegangen wird. Das bewerten wir als positiv.

Aber wir müssen zugleich feststellen, dass wir von der Herstellung vollständiger Barrierefreiheit im ÖPNV weiterhin sehr weit entfernt sind. Es ist auch nicht im Ansatz zu erkennen, wie – entsprechend der Vorgabe des PBefG – vollständige Barrierefreiheit bis zum 01.01.2022 hergestellt werden soll.


Wir verkennen nicht, dass die Vorgabe des PBefG sehr ambitioniert ist. Wir verkennen auch nicht, dass die Umsetzung wegen der aufwändigen Planungsverfahren und eines fehlenden zusätzlichen Förderprogramms sehr erschwert ist. Dennoch müssen wir konstatieren, dass der Vorgabe des PBefG im tagtäglichen Handeln von Politik und Verwaltung nicht der Stellenwert zukommt, der einer gesetzlichen Vorgabe zukommen müsste.

Die Vorgabe des PBefG zur Herstellung von Barrierefreiheit bis zum 01.01.2022 ist eine gesetzliche Vorgabe, nicht irgendeine unverbindliche Absichtserklärung. Es handelt sich um ein mit breiter Mehrheit verabschiedetes Bundesgesetz. Dahinter stehen die von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention und die Behindertengleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder. Sie alle fordern Barrierefreiheit und genießen breite gesellschaftliche Zustimmung. Das muss nach unserer Auffassung Konsequenzen für das alltägliche Handeln von Politik und Verwaltung haben.
Wir appellieren an alle verantwortlichen Akteure in Verwaltung, Politik und bei moBiel, die Anstrengungen zur Herstellung von Barrierefreiheit im ÖPNV deutlich zu erhöhen. Das, was bisher erreicht ist, darf uns nicht zufrieden stellen. Bis zum 01.01.2022 muss deutlich mehr umgesetzt sein, als bisher absehbar erscheint. Und es muss zum 01.01.2022 erkennbar sein, wie die dann noch bestehenden Defizite zeitnah beseitigt werden können.

Wir erwarten, dass mit mehr Nachdruck und Zielorientierung die folgenden Schritte abgearbeitet werden:

  • Bestandsaufnahme für alle Stadtbahnhaltestellen
  • Festlegung von Standards für einen barrierefreien ÖPNV in Bielefeld
  • Priorisierung beim Umbau von Bus- und Stadtbahnhaltestellen
  • Handlungsprogramm mit Zeitplan und Schätzung des Finanzbedarfs


Wolfgang Baum, Vorsitzender des Beirates für Behindertenfragen
Dr. med. Wolfgang Aubke, Vorsitzender des Seniorenrates
Dr. Godehard Franzen, Vorsitzender von „Bielefeld pro Nahverkehr"

 

 

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1) Neue Westfälische, 23.02.2018. Texte und Fotos aus der Neuen Westfälischen sind urheberrechtlich geschützt. Weiterverwendung nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. http://www.nw.de
2) WestfalenBlatt, 23.02.2018. Texte und Fotos aus dem WestfalenBlatt sind urheberrechtlich geschützt. Weiterverwendung nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. http://www.westfalen-blatt.de

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