05.10.2018 | allgemeines

Mutige Schritte zur Verbesserung des ÖPNV gefordert

Auf der Mitgliederversammlung von „Bielefeld pro Nahverkehr“ am 26. Sept. 2018 wurde eine umfassende Resolution zur Verkehrswende verabschiedet, die mutige und zeitnah umsetzbare Schritte zur Verbesserung des ÖPNV fordert. Sie wurde an den Oberbürgermeister, den Geschäftsführer von moBiel, den zuständigen Beigeordneten und die Vorsitzenden/Sprecher der Fraktionen/Gruppen im Stadtrat mit der Anregung geschickt, zeitnah entsprechende Beschlüsse herbeizuführen.

Resolution
(einstimmig verabschiedet auf der Mitgliederversammlung am 26.09.2018)

Neue Mobilität mit mehr Bus und Bahn

Mutige Schritte gefordert

  1. In allen deutschen Großstädten werden die negativen Auswirkungen des in den letzten Jahrzehnten ziemlich ungebremst angewachsenen Autoverkehrs immer deutlicher: gesundheits- und klimaschädliche Abgase, Lärm und Flächenverbrauch beeinträchtigen die Aufenthalts- und Lebensqualität massiv. Das Bild unserer Innenstädte ist wesentlich durch den fließenden und ruhenden Autoverkehr geprägt. Immer mehr Menschen fordern deshalb eine neue Mobilität, die zu deutlich weniger Autoverkehr und damit zu mehr Aufenthalts- und Lebensqualität in unseren Städten führt.
  2. Auch in Bielefeld wird seit zwei Jahren lebhaft über eine Verkehrswende diskutiert. Ein Anlass ist die Luftreinhalteproblematik. Ein zweiter Anlass ist die sich immer deutlicher abzeichnende Klimaveränderung, die insbesondere auch im Verkehrsbereich massive CO2-Einsparungen nötig macht. Viele Menschen sind ganz einfach unzufrieden mit der Vorherrschaft der Autos, die das innerstädtische Verkehrsgeschehen prägt. Besonders Fußgänger/innen und Radfahrer/innen bekommen den Vorrang von Autos im innerstädtischen Verkehr stark zu spüren.
  3. Bielefeld schickt sich an umzusteuern. So hat der Rat der Stadt bereits am 29.09.2016 Leitsätze zur Verbesserung des Radverkehrs in Bielefeld beschlossen. Zentrales Ziel ist die Erhöhung des Radverkehrsanteils von heute 15 Prozent auf 20 Prozent im Jahr 2020 und 25 Prozent in 2025. Vor wenigen Wochen hat der Verkehrsversuch Jahnplatz begonnen, mit dem der Autoverkehr auf dem Jahnplatz deutlich reduziert werden soll und der Erkenntnisse über die Auswirkungen auf andere Straßenräume liefern soll. Der Ausbau der Stadtbahn, insbesondere die Verlängerung der Linie 1 nach Sennestadt, wird vorangetrieben. Ein Leitbild für eine neue Mobilitätsstrategie ist in der politischen Beratung und soll noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Ein Gesamtkonzept im Sinne eines nachhaltigen Verkehrsentwicklungsplans liegt allerdings bisher nicht vor.
  4. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) wird nach unserer Überzeugung bei der notwenigen Verkehrswende eine entscheidende Rolle spielen. Digitalisierung und autonomes Fahren werden sicherlich zu deutlichen Veränderungen bei der Organisation der Mobilität führen, vor allem im ländlichen Raum. Sie können aber in den Ballungsräumen einen leistungsstarken ÖPNV nicht ersetzen. Würden Transportleistungen des ÖPNV im Ballungsraum durch individualisierte Angebote wie zum Beispiel Ride-Sharing ersetzt, wäre nicht mit einer Abnahme des innerstädtischen Autoverkehrs zu rechnen, sondern mit einer Zunahme. Der damit verbundene Flächenverbrauch würde verschärft statt abgebaut.
  5. Die Verkehrswende kann nach unserer Auffassung nur gelingen, wenn die Attraktivität des ÖPNV deutlich gesteigert wird. Wir wünschen uns für Bielefeld einen ÖPNV, der den Verzicht auf ein eigenes Auto leicht macht. Alltagssprachlich ausgedrückt muss der ÖPNV so ausgebaut sein, dass man auch ohne nennenswerten Verzicht auf Lebensqualität ohne eigenes Auto gut klar kommen kann. Das System muss einfach und verständlich sein, und es muss auch gegenüber dem Auto einen deutlichen Preisvorteil bieten.
  6. Die notwendige Verkehrswende muss ganzheitlich angegangen werden. Verkehrslenkende Maßnahmen wie der Verkehrsversuch Jahnplatz müssen mit einem verbesserten ÖPNV (und selbstverständlich auch einem verbesserten Radverkehr) kombiniert werden, damit nicht nur Autoverkehr verdrängt wird, sondern Anreize gesetzt werden, vom Auto auf den ÖPNV (bzw. aufs Fahrrad) umzusteigen. Erforderlich ist ein umfassendes Maßnahmenbündel zur Förderung des ÖPNV und des Fahrradverkehrs und zur Attraktivierung des Zu-Fuß-Gehens. Zugleich sind aber auch Anreize für die Nutzung des Autos abzubauen. Neben dem Ausbau der Infrastruktur (Stichwort moBiel 2030) müssen auch kurzfristig wirksame Maßnahmen umgesetzt werden. Wichtig ist, dass die Umsetzung solcher Maßnahmen von einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit begleitet wird, die den Sinn der Maßnahmen und die Vorzüge einer autoarmen Innenstadt verdeutlicht.
  7. Der Bielefelder ÖPNV hat sich seit der Eröffnung des Stadtbahn-Tunnels im Jahre 1991 außerordentlich positiv entwickelt. Die Fahrgastzahlen haben sich mehr als verdoppelt. Aktuell nutzt jeder Einwohner Bielefelds im statischen Mittel ca. 180-mal pro Jahr einen Bus oder eine Stadtbahn. Dies ist ein großer Erfolg. Aber die Zahl lässt sich noch deutlich steigern. Andere Städte mit ähnlicher Einwohnerzahl erreichen z. T. deutlich höhere Werte: Bonn liegt etwas über 300, Freiburg und Karlsruhe sogar über 400, an der Spitze liegt die ÖPNV-Musterstadt Zürich mit ca. 540. Wir wünschen uns deshalb, dass Schwachpunkte und Attraktivierungsmöglichkeiten beim Angebot, bei den Tarifen und bei der Zuverlässigkeit beseitigt beziehungsweise geprüft werden. Wir nennen beispielhaft einige Maßnahmen, die nach unserer Einschätzung den ÖPNV attraktiver machen können:
    • Taktverdichtungen (z. B. drei Fahrten pro Stunde statt zwei): Für ausgewählte Buslinien sollten Taktverdichtungen geprüft werden. Die Änderung von einem Halbstunden- auf einen Zwanzig-Minuten-Takt stellt einen Qualitätssprung dar.
    • Verbesserung des Angebots in den sog. Schwachlastzeiten: Das Angebot auf vielen Buslinien endet um 20 Uhr. Am Sonntagmorgen fahren auf vielen Linien überhaupt keine Busse. Der Stadtbahnbetrieb setzt erst gegen 9 Uhr ein. Das ersatzweise angebotene Anrufsammeltaxi hat bei weitem nicht die erhoffte Akzeptanz erreicht. Hier sind dringend deutliche Verbesserungen erforderlich.
    • Einführung eines speziellen Seniorentarifs: Für die ausgeprägt autoaffine Generation 60+ sollte es ein attraktives Tarifangebot geben, um diese Menschen zum Umsteigen vom Auto auf Bus und Bahn zu motivieren.
    • Günstigere Regionaltarife: Bielefeld hat als Oberzentrum sehr viele Ein- und Auspendler. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, dürfte nach Schätzungen deutlich über 250.000 pro Tag liegen. Der überwiegende Teil nutzt das Auto. Ein Hemmnis, den regionalen Schienenverkehr zu nutzen, sind die hohen Regionaltarife.
    • Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Einzeltickets von 90 auf 120 Minuten.
    • Abschaffung des gesonderten Nachtbustarifs: Der Sonderstatus führt zu zahlreichen Ungereimtheiten. Deshalb haben die Großstädte in NRW durchweg den Nachtbus in den ganz normalen Tarif integriert.

    Wir wünschen uns von Verwaltung, Politik und moBiel die Entwicklung eines Maßnahmenbündels, das zeitnah umzusetzen ist und zu deutlichen Fahrgaststeigerungen führt.

  8. Neben Maßnahmen, die direkt bei Bus und Bahn ansetzen, sind auch Anreize zur Autonutzung kritisch zu überprüfen. Bielefeld zeichnet sich in der Innenstadt durch ein sehr üppiges Stellplatzangebot zu niedrigen Preisen aus. In der Innenstadt gibt es Parkhäuser, die einen Stellplatz für 24 Stunden für 4 € oder sogar noch weniger anbieten. Die begehrten Kurzzeitparkplätze am Bahnhof kosten 1,30 € pro Stunde. So billig kann man nach unserer Kenntnis in keiner anderen deutschen Großstadt parken. Die Stadt selbst geht mit schlechtem Beispiel voran: In der Altstadt (Hufeisen) kann montags bis freitags von 7 bis 11 Uhr und an Samstagen von 7 bis 22 Uhr für zwei Stunden mit Parkscheibe kostenfrei geparkt werden. In den übrigen Bereichen im öffentlichen Straßenraum ist samstags generell das kostenlose Parken mit Parkscheibe bis zu zwei Stunden möglich. An Samstagen in der Zeit von 9.00-11.00 Uhr kann man im Parkhaus Neues Rathaus kostenlos parken. Ansonsten ist dort die erste halbe Stunde gebührenfrei. Diese Anreize zur Autonutzung passen nicht zu der Zielsetzung Verkehrswende und sollten schleunigst abgeschafft werden.
  9. Die Verkehrswende muss die besonderen Belange von Menschen berücksichtigen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Dies erfordert verstärkte Anstrengungen, den ÖPNV vollständig barrierefrei zu gestalten. Die dafür vom Gesetzgeber vorgegebene Frist – 1. Januar 2022 – sollte als Herausforderung begriffen werden, von der Möglichkeit zu Ausnahmen darf nur restriktiv Gebrauch gemacht werden. Es sind zudem die Belange von solchen Menschen mit Mobilitätseinschränkungen besonders zu berücksichtigen, die zwingend auf die Nutzung eines Autos angewiesen sind. Für sie muss es insbesondere weiterhin ein Angebot von innerstädtischen Behindertenparkplätzen in ausreichender Zahl und zu moderaten Preisen geben.
  10. Verbesserungen im ÖPNV gibt es nicht zum Nulltarif. Wer die Verkehrswende will, muss auch bereit sein, die für den Ausbau des ÖPNV notwendigen Mittel bereit zu stellen. Das gilt gleichermaßen für Investitionen und laufende Betriebskosten. Die Zukunftskommission ÖPNV NRW hat schon vor fünf Jahren die chronische Unterfinanzierung des ÖPNV angeprangert. Wenn eine Verkehrswende gewollt ist, müssen Bund und Länder die Finanzierung des ÖPNV deutlich verbessern. Aber auch die Stadt Bielefeld muss bereit sein, mehr Geld für die Verbesserung des ÖPNV bereit zu stellen, um optimale Lösungen umzusetzen. Das städtische Verkehrsunternehmen moBiel hat in den letzten 25 Jahren den Kostendeckungsgrad sehr erfolgreich auf ca. 75% steigern können (viele Verkehrsbetriebe liegen bei ca. 66 %). Das absolute Defizit lag in den letzten Jahren in der Regel um 20 Mio€. Ob sich Angebotsverbesserung oder neue Tarifangebote oder Maßnahmen zur Qualitätssicherung durch Fahrgeldeinnahmen von neu gewonnenen Fahrgästen kompensieren lassen, ist nicht zuverlässig vorhersagbar. Das Kriterium für die Umsetzung von Maßnahmen darf aber nicht sein, unter allen Umständen eine Erhöhung des Defizits zu vermeiden. Das entscheidende Kriterium muss das Potenzial zur Gewinnung neuer Fahrgäste sein.


Die Verkehrswende stellt eine große Chance für unsere Stadt dar. Ein attraktiver ÖPNV kann dazu einen entscheidenden Beitrag leisten. Verwaltung, Politik und moBiel sind aufgefordert, diese Herausforderung mit mutigen Schritten anzugehen.

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1) Neue Westfälische, 29.09.2018. Texte und Fotos aus der Neuen Westfälischen sind urheberrechtlich geschützt. Weiterverwendung nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. http://www.nw.de
2) WestfalenBlatt, 29.09.2018. Texte und Fotos aus dem WestfalenBlatt sind urheberrechtlich geschützt. Weiterverwendung nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. http://www.westfalen-blatt.de

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