Das Blatt wendet sich

Ab 1950 beginnt in der Bundesrepublik das Wirtschaftswunder. Die PKW-Zahlen steigen rasant an. Der öffentliche Nahverkehr bekommt Konkurrenz. Die Verkehrspolitik konzentriert sich fast ausschließlich auf die Bewältigung des wachsenden Autoverkehrs.


1950, also ein Jahr nach der Gründung der Bundesrepublik (BRD), gibt es in der BRD ca. 580.000 PKWs.

KFZ-Bestand BRD 1950 bis 1990


Bei knapp 50 Mio. Einwohnern kommen 1950 also fast 90 Personen auf einen PKW. Das nun einsetzende Wirtschaftswunder schlägt sich vor allem in einer rasanten Zunahme der PKW-Zahlen nieder. Bis 1970 steigt der PKW-Bestand auf mehr als das Zwanzigfache, nämlich auf fast 14 Mio. Es kommen nur noch knapp 4 Personen auf einen PKW. 1970 sind in der damals noch viel kleineren Stadt Bielefeld (die Kommunen des Kreises Bielefeld wie Heepen, Sennestadt, Brackwede waren noch selbständig) bereits über 40.000 PKWs zugelassen.


Die Verkehrspolitik ist mehr und mehr auf die Bewältigung des Autoverkehrs fixiert. Investitionen fließen überwiegend in den Straßenbau, der ÖPNV wird vernachlässigt. Streckenstilllegungen bei Eisenbahnen und Straßenbahnen sind an der Tagesordnung. Namhafte Verkehrswissenschaftler unterstützen die einseitige Orientierung auf den Autoverkehr. Großen Einfluss hat z. B. Prof. Karlheinz Schächterle (1921 – 2008), der für viele Städte in seinen Verkehrsgutachten die Vision der autogerechten Stadt konkretisiert. Viele Städte folgen seinen Vorstellungen. Ein besonders krasses Beispiel ist der Umbau in Ludwigshafen, wo u. a. der Hauptbahnhof von der City an den Stadtrand verlegt wird; heute hält dort kein ICE mehr, obwohl Ludwigshafen eine bedeutende Großstadt ist. Auch für Bielefeld legt Prof. Schächterle 1971 ein Verkehrsgutachten vor. Wäre der Stadtrat ihm in allen Punkten gefolgt, wäre die Stadt heute nicht wieder zu erkennen. Die Ravensberger Spinnerei sollte z.B. abgerissen werden; dort sollte ein großes Straßenkreuz entstehen.


Die Entwicklung hat heftige Folgen für den Nahverkehr. Die Fahrgastzahlen brechen dramatisch ein. Allein in den Boom-Jahren von 1957 bis 1962 beklagt die Deutsche Bahn einen Rückgang der Bahnkunden um von 32 % im Nahverkehr.